Mit einem Gottesdienst in der Johanniskirche hat die Kirchengemeinde Eschede an die 101 Todesopfer, 88 Schwerverletzten, Angehörige, Betroffene sowie Helferinnen und Helfer des ICE-Unglücks vor 20 Jahren gedacht. Die Predigt hielt Landessuperintendent Dieter Rathing.
In Anlehnung an das 13. Kapitel des biblischen 1. Korintherbriefes versuchte der evangelische Regionalbischof die Katastrophe zu beschreiben: „Mangelhaft – die letzte Inspektion des Zuges. Nicht zu Ende gedacht – die Materialermüdung. Nicht zu Ende gebracht – langes Warten auf das Entschuldigungswort der Verantwortlichen.“ Auch Zeichen des spürbaren Bedauerns seien letztlich Stückwerk gewesen, ebenso wie das Leben so vieler Menschen Fragment geblieben sei. Noch immer fragten viele Menschen: Warum?
Andererseits könne auch der Tod das Band der Liebe nicht zerreißen, predigte Rathing. „Weil diese Liebe zwischen Menschen, die getrennt wurden, im Vordergrund allen Gedenkens des 3. Juni steht, sprechen wir heute groß von ihr.“ Die Liebe sei sichtbar geworden durch das Hilfehandeln von Hunderten beruflichen Rettungs- und Versorgungskräften, an Ehrenamtlichen und Seelsorgern. Eschede stehe für gelebte Mitmenschlichkeit und Solidarität, „vom ersten Tag an bis heute“.
Landessuperintendent Rathing erinnerte in seiner Predigt auch an die Anfänge der organisierten Notfallseelsorge: „Von Eschede ging ein konzentrierter Impuls zur Einrichtung einer umfassenden und professionellen Notfall- und Einsatznachsorge in Katastrophenfällen aus, die mittlerweile unzähligen Menschen zu Gute gekommen ist“, sagte Rathing. In der Initiative „Selbsthilfe Eschede“ hätten Betroffene Zusammenhalt gefunden und seien in ihren Rechten und Interessen gestärkt worden.
„Ich sehe uns in der Gemeinschaft des Glaubens, der uns über Tod und Getrenntsein hinaus als Menschen und mit Menschen verbindet“, predigte Rathing. Dafür stehe auch die Gedenkwand mit den Namen der Opfer inmitten von 101 Kirschbäumen an der Unglücksstelle. Es sei eine „Gemeinschaft der Hoffnung, die uns über technische Defekte, über menschliches Versagen und Schuld hinaus zusammen nach Leben suchen lässt.“
Am 3. Juni 1998 ereignete sich in Eschede gegen 10.58 Uhr das bislang schwerste Zugunglück in Deutschland. Ein Radreifen des ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" brach und löste eine Kettenreaktion aus. Der Zug entgleiste und prallte gegen eine Überführung, die daraufhin einstürzte und Teile des Zuges unter sich begrub. Die Rettung und Bergung dauerte mehrere Tage an. Nach dem Gottesdienst am Vorabend wurde am 3. Juni bei einer kommunalen Feier an der Gedenkstätte der Opfer gedacht.
Hartmut Merten