Mit einem einwöchigen Betriebspraktikum Anfang Mai in Kästorfer Werkstätten hat der Lüneburger Landessuperintendent Dieter Rathing Geschichte geschrieben. Davon ist Hans-Peter Hoppe, Vorstand der Diakonie Kästorf, überzeugt. Mit seinem Einsatz habe Rathing „den Graben zwischen Diakonie und verfasster Kirche übersprungen“, sagte Hoppe anlässlich eines Pressegesprächs in der Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. „Dass ein leitender Geistlicher in einem Betrieb der Diakonie mitarbeitet, das hat es in Niedersachsen bisher nicht gegeben“, so Hoppe.
Rathing war bei seinem Antrittsbesuch in der größten diakonischen Einrichtung im Bereich des Sprengels Lüneburg Ende vergangenen Jahres auf die Idee gekommen. Dabei ging ist ihm nicht allein um die Erfahrung, eine neue Arbeitswelt kennenzulernen. „Mich interessiert, wie Integration in den Arbeitsmarkt praktisch funktioniert“, skizzierte der Regionalbischof für die evangelische Kirchenregion im nordöstlichen Niedersachsen sein Anliegen.
Daraufhin erstellte Carsten Möbs den Einsatzplan, täglich beginnend um 7.30 Uhr bis zum Feierabend um 15.30 Uhr. Ein breites Spektrum möglicher Tätigkeitsbereiche wollte der Geschäftsführer der Kästorfer Werkstätten dem Landessuperintendenten eröffnen. Die Arbeit in einem Gartenbaubetrieb gehörte ebenso dazu wie die Wagenpflege oder der Reifenwechsel in der KFZ-Werkstatt, das Stecken von Gleisbolzen für Bahnschwellen oder die Montage von „Luftausströmern“ für VW.
Auf einer Baustelle in Vorsfelde sollten beispielsweise Gehwegplatten mit 75, 45 und 25 Zentimeter Kantenlänge aufgenommen werden, gab Rathing Einblick in seinen Arbeitsalltag. Erst habe er sich gewundert, dass immer, wenn er an der Reihe war, die kleinen Platten dran waren. Dann sei ihm klar geworden: Die Kollegen wollten ihm als dem Älteren die Arbeit nicht zu schwer machen. „Diese Achtsamkeit im Umgang miteinander, diese freundliche Atmosphäre hat mich beeindruckt“, gestand Rathing.
„Wir haben hier Menschen und für die suchen wir Arbeit“, beschrieb Möbs die Philosophie der Einrichtung im Unterschied zur Situation auf dem regulären Arbeitsmarkt. Ein Gedanke, den Rathing nach seinen Erfahrungen bestätigt findet: „Das Fördern und Fordern von Menschen mit Beeinträchtigungen wird in Kästorf in gelingender Weise zusammengebracht.“
Durch ein Betriebspraktikum könnten kirchliche Mitarbeiter ihre Mitmenschen anders kennenlernen als in der Gemeindearbeit, auch ihre Nöte besser verstehen, sagte Industriepastor Peer-Detlev Schladebusch. Deshalb empfehle der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt Praktika zum Beispiel von Pastoren und Superintendenten. „Das wird mehr und mehr angenommen“.
Hartmut Merten