„Wir dürfen die Dinge nicht einfach auf sich beruhen lassen.“

Pressemitteilung 01. Oktober 2024

Erster Generalkonvent mit Regionalbischöfin Marianne Gorka widmete sich dem Thema „Kirche. Macht. Angst“.

Am 25. September 2025 fand im Kulturforum Gut Wienebüttel der erste Generalkonvent des Sprengels Lüneburg unter der Leitung von Regionalbischöfin Marianne Gorka statt. Rund 200 Pastorinnen und Pastoren sowie Prädikantinnen und Prädikanten kamen zusammen, um gemeinsam über das Thema „Kirche. Macht. Angst“ zu reflektieren. 

Der Generalkonvent bot die Gelegenheit, sich intensiv mit den Machtstrukturen in der Kirche und den daraus resultierenden Ängsten zu befassen, die nicht zuletzt durch die in der ForuM-Studie veröffentlichten Fälle sexualisierter Gewalt und Missbrauch zu einem bestimmenden Thema in der Landeskirche geworden sind.

Eine bewusste Themenwahl

Der jährliche Generalkonvent gilt als das „Branchen-Treffen“ aller Pastorinnen und Pastoren eines Sprengels, das immer auch wie ein Klassentreffen anmutet. „Es ist aber auch die Gelegenheit, sich gemeinsam einem Thema zu widmen, das für die pastorale Arbeit von Bedeutung ist“, betonte Gastgeberin Gorka. 

Landesbischof Ralf Meister würdigte die Regionalbischöfin in seiner Rede für die Wahl des Themas des diesjährigen Generalkonventes im Sprengel Lüneburg. Es sei genau richtig, sich damit auch in diesem Kontext mit der ForuM-Studie auseinanderzusetzen. Er dankte zudem jenen Pastorinnen und Pastoren, die mit ihrem offenen Brief im Juni dieses Jahres den bisherigen Umgang der Landeskirche mit dem Thema sexualisierte Gewalt kritisiert hatten. Es sei rückblickend betrachtet, ein wichtiger Impuls gewesen.

„Machtmissbrauch darf nicht verdrängt werden“

Marianne Gorka, Regionalbischöfin

„Sexualisierter Missbrauch ist immer auch Machtmissbrauch. Beides macht Angst“, betonte Regionalbischöfin Marianne Gorka in ihrer Eröffnungsrede. Sie hob die Bedeutung der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch in der Kirche hervor: „Wir müssen uns fragen, wie es in den verschiedenen Fällen zum Missbrauchsgeschehen kommen konnte, um Gefährdungspotenziale und Machtstrukturen zu erkennen und aufzulösen“. 

Sie hob hervor, dass die Kirche sich ihrer Verantwortung stellen muss und eine kontinuierliche Aufarbeitung unabdingbar sei: „Wir dürfen die Auseinandersetzung mit Missbrauch, Macht und Angst in unserer Kirche nicht beenden. Wir müssen Gefährdungspotenziale und Machtstrukturen erkennen und auflösen, um zukünftige Übergriffe zu verhindern.“

Gorka betonte die Notwendigkeit, Schutzkonzepte und Präventionsmaßnahmen weiterzuentwickeln: „Der Schutz vor sexuellem, geistigem oder sonstigem Machtmissbrauch muss zukünftig in allem, was wir tun, gewährleistet werden. Dazu gehört auch eine ständige kritische Reflexion unserer Positionen und Privilegien.“

„Aufarbeitungsprozesse sind keine Wohlfühlveranstaltungen“

Ute Dorczok, Leiterin URAK

Unabhängige Aufarbeitungskommission (URAK) ab März 2025 arbeitsfähig

Ein zentrales Thema des Generalkonvents war die konkrete Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. Ute Dorczok, Leiterin der neugegründeten Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission (URAK) erläuterte die Rolle der Aufarbeitung für die Prävention: „Warum in der Vergangenheit graben? Weil ohne Aufarbeitung, ohne das Erkennen von Strukturen und das Übernehmen von Verantwortung keine wirkungsvolle Prävention möglich ist“.

Aufarbeitung bedeutet aber auch Anstrengung, Arbeit. Die Auseinandersetzung in Gemeinden und Institutionen und kann nicht an die URAK „outgesourced“ werden. Sie forderte eine kritische Fehlerkultur in der Kirche: „Aufarbeitungsprozesse sind keine Wohlfühlveranstaltungen. Wenn sich am, Ende alle wohlfühlen, haben wir etwas falsch gemacht“, pointierte sie. Ziel von Aufarbeitung sei es nicht, die der Auseinandersetzung zu beendigen, um einen „Schlussstrich“ zu ziehen, sondern Maßnahmen für die Zukunft entwickeln und umsetzen zu können.

Dorczok beschrieb die Aufgaben der URAK, die ab März 2025 arbeitsfähig sein soll. Sie besteht aus neun ehrenamtlichen Mitgliedern, darunter Expert:innen, Delegierten der Kirche und betroffenen Personen. Ziel der Kommission sei es, Strukturen zu identifizieren, die sexualisierte Gewalt ermöglichen oder deren Aufdeckung erschweren. Ebenso werde untersucht, wie mit Betroffenen umgegangen wurde und welche Lehren daraus für die zukünftige Prävention gezogen werden können. 

 „Dauerhafte Auseinandersetzung mit missliebigen Themen und offene Fehlerkultur sind unverzichtbar“

Prof. Dr. Manfred Grieger, Historiker

Parallelen zur Aufarbeitung von NS-Vergangenheit

Ein weiterer Referent, Prof. Dr. Manfred Grieger, Historiker und Experte für Aufarbeitung, beleuchtete die Rolle der Kirche im Umgang mit historischen und aktuellen Missständen. Er warnte vor einer oberflächlichen Abarbeitung von Aufarbeitungsprozessen und betonte, dass es keine Relativierung oder Beschönigung der Vergehen geben dürfe.

Grieger zog Parallelen zur Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus und schilderte gleichnishaft zwei historische Ereignisse: In einem Beispiel beschrieb er den im Juni 1944 in Wolfsburg durch einen Lynchmob herbeigeführten Tod des amerikanischen Bomberpiloten Sidney A. Benson auf dem Betriebsgelände von Volkswagen. Erst 2015, also lange nach der öffentlichen Anerkennung des Massenverbrechens der Zwangsarbeit und der Etablierung regelmäßiger Gedenkveranstaltungen, brachte die Publikation „Luftkrieg und Heimatfront“ auch dieses Geschehnis zu Bewusstsein und zur Aufarbeitung.

In einem weiteren Beispiel beleuchtete Historiker Grieger die Zwangsarbeit in der Bahlsen-Keksfabrik während des Dritten Reiches. Die zweite Generation der Unternehmerfamilie beschwieg nicht nur die Ausbeutung ausländischer Zwangsarbeiterinnen, sondern deutete die Realität im Interesse einer Selbstentlastung um. Doch 2019 in Person der Unternehmenserbin immer noch zu leugnen, dass Zwangsarbeiter als unterschichtetes Subproletariat dienten und diese zahlreichen Benachteiligungen unterworfen waren, führte in der Öffentlichkeit zu einem wahren shitstorm. Verena Bahlsen war dabei nur Symptomträgerin, die die Spätfolgen der unkritischen Eigenerzählung zu tragen hatte.

Anhand dieser Beispiele machte Grieger deutlich, dass die Kirche sich langfristig mit ihrer Geschichte und den begangenen Verbrechen auseinandersetzen müsse, um künftigen Missbrauch zu verhindern. „Dauerhafte Auseinandersetzung mit missliebigen Themen und offene Fehlerkultur sind unverzichtbar“, schloss Grieger.

„Die Beteiligung der betroffenen Personen ist entscheidend.“

Julia Nortrup, Fachstelle Sexualisierte Gewalt

Ein besonderer Moment des Generalkonvents war die vertiefte Auseinandersetzung mit der ForuM-Studie durch Julia Nortrup von der Fachstelle Sexualisierte Gewalt. Die Studie untersucht systemische Probleme im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche und der Diakonie. Sie identifiziert Machtverhältnisse und organisatorische Strukturen, die es Tätern erleichtern, Missbrauch zu begehen.

Nortrup betonte in ihrem Vortrag, in dem sie viele betroffene Personen wortwörtlich zitierte, dass die Beteiligung von Betroffenen an Aufarbeitungsprozessen essenziell sei: „Nur durch die aktive Einbindung der Betroffenen und ihre Mitsprache können effektive Präventions- und Aufarbeitungsmaßnahmen entwickelt werden“. Die Studie zeige, dass kirchliche Strukturen häufig Täter schützen und die Stimmen der Betroffenen nicht ausreichend gehört werden. 

Die Referent:innen

  • Ute Dorczok ist seit April 2024 Leiterin der Geschäftsstelle der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission (URAK) für Niedersachsen und Bremen. Sie studierte Sozialpädagogik und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in Leitungspositionen im Bereich der Jugend- und Eingliederungshilfe. In ihrer beruflichen Laufbahn hat sie sich intensiv mit Machtstrukturen, Gewalt, sexuellen Übergriffen und Prävention auseinandergesetzt, insbesondere in der Arbeit mit Mädchen, Frauen und Menschen mit Beeinträchtigungen. In ihrer Rolle bei der URAK koordiniert sie die unabhängige Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in kirchlichen Strukturen und betont die Bedeutung von Zuhören und Unabhängigkeit im Aufarbeitungsprozess.
  • Prof. Dr. Manfred Grieger ist ein renommierter Historiker und Experte für Aufarbeitung historischer und institutioneller Missstände. Er hat sich insbesondere auf die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und die Aufarbeitung von Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus spezialisiert. In seinem wissenschaftlichen und öffentlichen Engagement betont er die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um langfristige Lehren für Gegenwart und Zukunft zu ziehen. 
  • Julia Nortrup ist Fachreferentin für sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche und der Diakonie und leitet die Arbeit rund um die ForuM-Studie, eine umfangreiche Untersuchung zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in kirchlichen Strukturen. Als Diplom-Psychologin mit fundierter Expertise im Bereich der Aufarbeitung sexueller Gewalt konzentriert sich Nortrup auf systemische Probleme, die Missbrauch begünstigen. Sie betont die Notwendigkeit einer stärkeren Beteiligung der Betroffenen in den Aufarbeitungsprozessen und setzt sich für eine transparentere Auseinandersetzung mit institutionellem Versagen ein.

Fazit Generalkonvent 2024

Ein klarer Auftrag zur Aufarbeitung und Prävention

Der Generalkonvent 2025 im Sprengel Lüneburg hat deutlich gemacht, dass die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche eine Daueraufgabe ist, die nur durch eine offene Auseinandersetzung mit Machtstrukturen und Missbrauch gelingen kann.

Regionalbischöfin Marianne Gorka betonte: „Wir dürfen die Dinge nicht einfach auf sich beruhen lassen. Kirchengemeinden und auch Institutionen können etwas tun, damit das Thema nicht unter den Tisch fällt. Zuallererst durch Schutzkonzepte und Potentialanalysen sowie durch die Grundschulungen für alle Mitarbeitenden."

Helfen können zudem beispielsweise leicht auffindbare QR-Codes, die an die Hilfestellen oder Vernetzungsplattformen führen, Plakate und Labels, die die sensibel und achtsam zeigen, wir sind uns des Themas und der Gefahren bewusst und versuchen alles, was in unserer Macht steht, Missbrauch zu verhindern.

Materialien zum Thema sexualisierte Gewalt