Kulturredakteur auf der Bürgerkanzel in St. Nicolai
Hans-Martin Koch, Leiter der Kulturredaktion der Landeszeitung für die Lüneburger Heide, hat die Bedeutung der geistlichen Musik gewürdigt. „Die Kirchenmusik öffnet mir und, ich glaube, sehr vielen Menschen den Weg ins Innere und zum Bewusstsein, dass da mehr ist als die reine, kalte Nachrichtenlage“, sagte der Journalist auf der Bürgerkanzel am 1. Advent in St. Nicolai. In dem Gottesdienst wurde zudem eine neue Truhenorgel von Michael Braun eingeweiht. Und es erklang die Kantate von Johann Ludwig Bach unter der Leitung von Nicolai-Kantor Stefan Metzger-Frey: „Mache dich auf, werde licht.“ Die Bürgerkanzel in St. Nicolai wird vom Sprengel Lüneburg, dem Kirchenkreis Lüneburg sowie der Altstadt-Gemeinde gemeinsam verantwortet.
„Die Nachrichtenlage ist bitter“, resümierte der LZ-Redakteur nach einem Blick auf aktuelle Meldungen der Deutschen Presseagentur: „Herrgottnochmal, wie soll man denn diese Welt ertragen!“ Es gebe eine weit verbreitete Verzweiflung über eine Welt, die doch nicht so sein darf, wie sie offensichtlich ist. Indes sei der floskelhafte Gebrauch des Gottesbegriffs heute zur Alltagskultur geschrumpft, Relikt einer Tradition. „Wozu brauchen wir denn da noch einen Glauben?“
Koch erinnerte in St. Nicolai an die Zeit des 30-jährigen Krieges mit seinem ganzen Elend von Seuchen, religiösem Fanatismus, Morden und Hexenverfolgungen. Das Leiden an der Welt sei also nicht neu. Aber das Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ erinnere ihn daran, „dass bei allem Leiden die Menschen früher nicht so ins Leere liefen wie wir heute.“ Der Liederdichter Friedrich Spee habe in seiner Zeit des 17. Jahrhunderts viel Grausames erlebt, betonte der Journalist. „Aber immer vertraute er trotz alledem einer größeren und heilenden Kraft, fühlte er sich aufgehoben über das nackte Leben hinaus.“
Für viele junge Menschen verbinde sich die Suche nach Sinn, Glück und Identität heute nicht mehr mit Religion, nannte Koch eine Einsicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Gleichwohl erkenne der EKD-Chef einen Bedarf an Spiritualität. Da könne die Kirche ansetzen und junge Gläubige etwa im digitalen Raum gewinnen, so Bedford-Strohm. Doch ob Spiritualität im digitalen Raum zu finden ist? „Da habe ich meine Zweifel“, bekannte Koch.
Allein der Kirchraum könne doch viel mehr leisten. „Und es gibt da diese klingende Kraft, die viel, viel weiter als der digitale Raum wirkt“, zeigte sich Koch überzeugt. Kirchenmusik müsse indes mehr sein als ein ästhetisches Erlebnis, auch Denkanstöße vermitteln. Als Beispiel nannte der Kulturredakteur die in St. Nicolai beheimatete Jazz- und Theologiereihe „Lebensklänge“. Hier zeigten Künstler wie Daniel Stickan, „wie sich Kirche und neue Kirchenmusik dem Geist der Zeit stellen, sich aber nicht anbiedern.“
„Fürchtet euch nicht“, zitierte Hans-Martin Koch den Sopran aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium als seine Predigt-Botschaft. „Das mag banal sein, aber es steckt für mich alles drin, um dieses Leben und diese Welt in ihrer unendlichen Komplexität zu lieben.“ Dazu gehöre eine Verpflichtung: „nicht abwarten, sondern tätig sein, Vertrauen suchen, Vertrauen finden.“
Hartmut Merten