Öffentliche Theologie und Wahrheit ist Thema beim Lüneburger Konvent mit Landessuperintendent Rathing
„Öffentliche Theologie und Wahrheit – in diesen Zeiten“: So lautete das Motto des dreitägigen Lüneburger Kirchenkreis-Konvents, der kürzlich in Ratzeburg stattfand.
„Gefunkt hat es beim Stichwort alternative Fakten“, erläuterte Schulpastorin Barbara Hanusa die Entscheidung für das Thema der Konferenz von rund 40 Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakonen. Kellyanne Conways, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump, hatte die Formulierung im Januar 2017 geprägt, um eine umstrittene Darstellung des White-House-Pressesprechers Sean Spicer zu rechtfertigen. In einer Zeit, in der sogenannte „Fake news“ die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, stelle sich einmal mehr die Frage nach der Wahrheit. Zudem gab Hanusa zu bedenken: „Sind nicht auch unsere christlichen Botschaften alternative Fakten?“
Theo Christiansen, Leiter der Abteilung Diakonie und Bildung im Kirchenkreis Hamburg-Ost, erinnerte zur Einstimmung an einen Text von Bertolt Brecht aus dem Jahr 1938 unter der Überschrift „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“. Für den Schriftsteller braucht es unter anderem Mut, die Wahrheit zu schreiben, sowie Klugheit, die Wahrheit zu erkennen. So mache etwa Reichtum die Kirche unfrei. Im Grunde wüssten die Verantwortlichen in einer der reichsten Kirchen, was angesichts verbreiteter Armutsverhältnisse in der Gesellschaft zu tun ist. „Aber wir setzen es nicht um“, beklagte Christiansen. Der Theologe forderte die Kirche dazu auf, „mit Mut, Klarheit und Bedachtsamkeit dem Getöse entgegenzuwirken“.
Dass der Wahrheitsbegriff mehr umfasst als Tatsachenwahrheiten, machte Florian Breitmeier (Hannover) in seinem Beitrag deutlich. „Wahrheit ist nicht nur das faktisch Richtige, sondern vor allem das, was sich bewährt“, betonte der Hörfunkredakteur für Themen aus Religion und Gesellschaft beim NDR. Auch Journalisten seien nicht im Besitz der Wahrheit, sondern auf der Suche danach, sagte der Medienmann selbstkritisch. So hätten Journalisten im Vorfeld der Wahl von Donald Trump dessen Erfolgsaussichten falsch eingeschätzt. Den Kirchenvertretern wünschte der Politologe mehr Mut, von Sünde und Gnade, Schuld und Vergebung zu reden. Bildung sei heute auch für die Kirche ein wichtiger Schlüsselbegriff, unterstrich Breitmeier: „Bildung und Glaube untergraben ein statisches Verständnis der Welt.“
Unter Anleitung von Dr. Klara Butting (Uelzen) beschäftigten sich die Pastoren und Diakone einen Tag lang mit der Bibel. Das dem „Amen“ zugrunde liegende hebräische Wort bedeute eigentlich standhalten, beständig sein, Treue, erklärte die Alttestamentlerin. Das philosophische Wort Wahrheit gebe es in der Bibel nicht. „Die Wahrheit Gottes ist da und wird noch werden.“ Wahrheit im biblischen Sinne sei „eine Geschichte, in der die Menschen erfahren, dass Gott die Fülle alles Lebendigen ist“. Die Leiterin der Woltersburger Mühle, Zentrum für biblische Spiritualität und gesellschaftliche Verantwortung, wandte sich gegen den Absolutismus einer einzelnen Religion, erkannte zugleich den fundamentalen Wahrheitsanspruch der Bibel: „Gott will sich unter uns verwirklichen und die Erde in eine Ortschaft des Lebens verwandeln.“
Schließlich ging Landessuperintendent Dieter Rathing auf eine viel diskutierte Frage ein: Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott? Der Regionalbischof für den Sprengel Lüneburg erinnerte in seinem Referat an die biblische Urgeschichte: „Gott hat die Vielfalt gewollt, damit wir uns nicht anmaßen zu sein wie Gott.“ Rathing unterschied zwischen dem Sein Gottes und dem Bekenntnis zu ihm: „Heißt, anders an Gott zu glauben, an einen anderen Gott zu glauben?“ Dass Gott seine Zuwendung von einem bestimmten Glaubensbekenntnis abhängig mache, könne er sich schwer vorstellen. Man dürfe nicht einfach von der Differenz der Gläubigen auf die Differenz des göttlichen Grundes schließen, sagte Rathing. Menschen könnten an den einen Gott glauben, auch wenn sie ihn unterschiedlich verehrten.
Statt von „Menschen anderen Glaubens“ zu reden, wolle er in Zukunft lieber von „anderen Menschen des Glaubens“ sprechen, sagte der Landessuperintendent. Schließlich teilten Juden, Christen und Muslime als Angehörige der drei monotheistischen Weltreligionen teilten eine gemeinsame Erfahrung: Von Gott angesprochen zu sein.