„Gutes und Böses erkennen“, so lautete das Thema eines interreligiösen Trialogs im Museum Lüneburg. Im Blick auf zwei Kunstwerke kamen die jüdische Philosophin Monika Kaminska, die muslimische Theologin Özlem Nas und der christliche Theologe Dieter Rathing, Landessuperintendent für den Sprengel Lüneburg der hannoverschen Landeskirche, miteinander ins Gespräch.
Den ersten Impuls gab ein Werk des niederländischen Malers Cornelis van Haarlem aus dem Jahr 1622. Es zeigt Adam und Eva im Paradies vor jenem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von dem zu essen Gott laut der biblischen Urgeschichte verboten hatte. Unterschiedliche Perspektiven offenbarte bereits der erste Eindruck: Während Özlem Nas der zum Himmel zeigende Finger Adams ins Auge stach, fiel ihrer jüdischen Gesprächspartnerin zunächst die Frucht in Evas Hand auf. Rathing bemerkte, dass Adam positiver dargestellt sei als Eva, „mehr Himmel abgekriegt“ habe.
Unterschiede wurden auch im Blick auf die Deutung der zugrunde liegenden Schriften erkennbar. Monika Kaminska betonte die Entscheidungsfreiheit des Menschen und zitierte den jüdischen Gelehrten Maimonides: Der habe in der Erzählung einen Appell an den menschlichen Verstand erkannt. Eva erfülle in der Paradiesgeschichte eine Aufgabe. Dass die Bibel an der Stelle kein historisches Ereignis meint, sondern etwas Grundsätzliches über das Menschsein aussagt, betonte Rathing: Der Mensch solle nicht grenzenlos sein. Der sogenannte Sündenfall markiere einen „Bruch“, seither könnten Mann und Frau, Gott und Mensch nicht mehr unbelastet miteinander umgehen. Satan habe die Aufgabe, Menschen zu prüfen, entnahm Özlem Nas dem Koran und erklärte: „Das Leben eine Prüfung, wie treu man Gott ist“.
Den zweiten Gesprächsimpuls setzte „Oswald“ von Gerhard Richter. Dem 1964 geschaffenen Werk liegt ein Foto des FBI zugrunde, das Oswald Lee Harvey zeigt, den mutmaßlichen Mörder John F. Kennendys. Dessen Schuld ist indes bis heute nicht zweifelsfrei erwiesen. Im Blick auf das Gemälde kamen unter anderem die Macht der Bilder, die „Unschärfe“ menschlichen Verhaltens und eine zweifelhafte „binäre Logik“ zur Sprache, wie Monika Kaminska formulierte: „Wir können nicht sagen, dieser Mensch ist gut und jener böse.“
Dass Gespräche zwischen den Religionen Lerneffekte mit sich bringen, wurde in der Schlussrunde deutlich. So habe er von Özlem Nas gelernt, dass die Geschlechterhierarchie jedenfalls nicht in der Geschichte von Adam und Eva gründet, bekannte Rathing. Neu sei ihm auch die jüdische Betonung der Verantwortung des einzelnen Menschen vor Gott gewesen, sagte der Landessuperintendent in Richtung Monika Kaminska. „Ich dachte, das wäre unsere evangelische Einsicht.“
Wir bereichern uns gegenseitig, zog auch die jüdische Philosophin ein positives Fazit. Alle Religionen seien gleichwertig. Ein Gedanke, den Özlem Nas aufgriff: „Man sollte nicht darauf bestehen, dass die eigene Wahrheit die einzige ist.“ Demzufolge sollten gläubige Menschen Wertschätzung nicht nur einfordern, sondern auch gewähren. „Dann wäre das Leben einfacher“, sagte die Muslimin.
Seit 2010 organisiert Marion Koch in der Hamburger Kunsthalle interreligiöse Gespräche über Kunst. Die Lüneburger Kirchenkreiskonferenz war bei einem Besuch in Hamburg auf das Format aufmerksam geworden. Die Veranstaltung im Museum Lüneburg stand im Zusammenhang mit einer Veranstaltungsreihe der St. Johannisgemeinde zum 500-jährigen Reformationsjubiläum, ihr Motto: „Kirche und Wort“.
Hartmut Merten