Der Protestantismus - ein Auslaufmodell?

Nachricht Lüneburg, 16. März 2017

Detlef Pollack sprach zum Abschluss des Theologischen Forums 2017 in Lüneburg

"Umstrittene Reformation": Unter der Überschrift stand das von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam mit der Volkshochschul-Region Lüneburg veranstaltete Theologische Forum 2017. Nach Vorträgen zu römisch-katholischen Perspektiven, protestantischen Selbstdeutungen und einem Rückblick auf frühere Reformationsjubiläen sprach Prof. Dr. Detlef Pollack zum Abschluss der vierteiligen Reihe am 14. März 2017 im Glockenhaus über die Frage: Ist der Protestantismus ein Auslaufmodell?

Der in der DDR geborene Theologe und heute an der Universität Münster lehrende Religionssoziologe erinnerte an empirische Befunde: Während 1950 noch gut die Hälfte der deutschen Bevölkerung evangelisch gewesen sei, liege der Anteil heute bei rund 30 Prozent. Dabei seien die älteren Jahrgänge, ähnlich wie in der Katholischen Kirche, überrepräsentiert.

Auch der Gottesdienstbesuch sei rückläufig: Gingen 1963 etwa sieben Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder sonntags zum Gottesdienst, seien es heute 3,5 Prozent. Die Neigung zum Kirchenaustritt sei mit rund drei Prozent zwar nicht sehr hoch, nehme allerdings auch nicht ab. „Menschen verlassen die evangelische Kirche vor allem aus Gleichgültigkeit und Indifferenz“, erklärte Polack.

Doch auch für die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche nannten die Befragten gute Gründe. Dazu gehörten die Übereinstimmung mit der christlichen Lehre, die Erfahrung von „innerem Halt“, das diakonische Engagement und der Wunsch nach religiöser Begleitung, etwa im Zusammenhang von Geburt (Taufe) und Lebensende (Beerdigung).

Pollack, der unter anderem zum Thema Kirche als Organisation forscht, sah zudem einen Zusammenhang mit der Familiensituation. „Mit der Zahl der Kinder wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man zur Kirche geht.“ Für das weltweit zu beobachtende Phänomen nannte der Wissenschaftler zwei Gründe: Zum einen seien Familien mit Kindern wertkonservativer  als andere. Und: Kinder gäben Gelegenheit, zur Kirche zu gehen, etwa aus Anlass ihrer Taufe.

Zum Vergleich mit der Situation in Deutschland warf Pollack, der eine Zeitlang in New York lehrte, einen Blick in die USA: Dort seien immer noch mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Protestanten. Dabei zeigten die Evangelikalen eine besonders hohe Fähigkeit, den Bestand zu halten. Ihnen gelinge es, neben dem Glauben an einen persönlichen Gott zugleich die Bedeutung der Religion für die Politik herauszustellen, wenngleich ihr Einfluss begrenzt sei.

„Die Evangelischen Kirchen in Deutschland gehen nicht den Weg einer Sekte, sie zeigen sich weltoffen und dialogbereit und stoßen so auf große Akzeptanz in der Gesellschaft“, nannte der Religionssoziologe eine Eigenart. Doch diese Akzeptanz werde erkauft durch eine geringere Widerstandskraft gegen die Modernisierung in der Gesellschaft, hier seien die „strengen Sekten“ im Vorteil.

Eine klare Antwort auf die Frage nach der Zukunft der evangelischen Kirche blieb Pollack den rund 90 Zuhörern schuldig. Auch auf Nachfrage aus dem Publikum mochte der Soziologe keine Prognose abgeben. „Die Kirche ist eine wichtige Quelle der Wertebildung in der Gesellschaft, aber nicht die einzige“, betonte der Referent.

Erfolgreich sei die Kirche, wenn es ihr gelinge, „Verknüpfungen“ ihrer Botschaft mit der Lebenswirklichkeit der Menschen herzustellen. Schließlich unterstrich Pollack die Bedeutung der Kirche vor Ort. Persönliche Kontakte zu kirchlichen Mitarbeitern oder das gemeinsame Singen im Gottesdienst seien wertvoller als mediale Kommunikationsformen. „Das ist ein gut nachgewiesener Befund: Kirchenbindung transportiert sich über lokale Bindung.“

Hartmut Merten