Drei Tage lang stand der Reformationstruck auf dem Hollerplatz in Wolfsburg. Was das Motto „Mitschöpfer Mensch. Arbeit neu entdecken“ für die Region bedeutet, wurde unter anderem anlässlich der Verleihung des Titels „Reformationsstadt Europas“ deutlich. Und bei einer Podiumsdiskussion in der Christuskirche zum Thema „Arbeit und Menschenwürde“.
Der Wolfsburger Industrieseelsorger Dirk Wagner begrüßte dazu unter anderem Francescantonio Garippo, seit rund 40 Jahren Angestellter bei VW: „Früher habe ich gehört, du bist nicht zum Denken da, sondern zum Arbeiten.“ Doch davon sei man heute weit weg, versicherte der Betriebsrat und Gewerkschafter. Heute liegen dem gebürtigen Italiener besonders die Flüchtlinge am Herzen. Die Integration sei damals wie heute über die Arbeitswelt gelungen, betont er.
Bei der Arbeit gehe es nicht zuerst um Selbstverwirklichung, widersprach Landessuperintendent Dieter Rathing dem IT-Mitarbeiter bei VW, Bernhard Keller. „Der Bezug zum Menschen muss immer sichtbar werden“, nannte der Regionalbischof ein zentrales Kriterium. Aus Sicht des Kommunikationsberaters Thomas Beyer muss die Menschenwürde im täglichen Miteinander von Vorgesetzten und Mitarbeitenden zum Ausdruck kommen. Es gelte, Haltung zu zeigen, wenn etwa „Leute runtergemacht werden“.
Die Juristin Karin Schwentek vertrat in der Runde die Ingenieurkammer Niedersachsen. Die Ingenieure stünden gerade seit dem Abgasskandal bei VW in der Schusslinie. „Die Erfindung des Babyfons ist toll, und dann kommt jemand und setzt so ein Gerät zur Überwachung der Mitarbeitenden ein“, warb die Justiziarin für ethische Regeln. Schließlich waren sich die Diskutanten darin einig, dass der Mitschöpfer Mensch eine „wahnsinnige Mitverantwortung“ habe, gerade im Blick auf die fortschreitende Digitalisierung in der Arbeitswelt.
Über den Tag hinaus bedeutsam bleibt der Titel „Reformationsstadt Europas“. Bei der Verleihung erinnerte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs an die Geschichte. Die Nationalsozialisten hätten 1938 eine Stadt ohne Kirchen gründen wollen. „Das Gegenteil ist uns gelungen, Wolfsburg ist eine Stadt mit sehr aktiven Kirchen“, betonte das Stadtoberhaupt. Werte wie Freiheit, Toleranz und Weitsicht bestimmten das Leben der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Wolfsburg sei stolz darauf, dem Netzwerk der Reformationsstädte Europas anzugehören. „Statt des Nebeneinanders machen wir uns stark für ein Miteinander der Länder Europas“, versprach Mohrs.
Landesbischof Ralf Meister erinnerte in seinem Grußwort an die mittelalterliche Hanse: „Mit den Waren fuhren immer auch Ideen mit.“ In einer Zeit, in der sich Europa in einer Zerreißprobe befinde, wolle der Stationenweg die Grundideen der Reformation verbreiten. Eine der zentralen Fragen heute laute: „Verändern wir die Welt oder verändert die Welt uns?“ Wo immer die gute Ordnung gefährdet sei, könnten reformatorische Einsichten weiterhelfen. Als Beispiele nannte Meister unter anderem die Armut und den Umgang mit Flüchtlingen.
Nach aktuellem Stand würden bis zum kommenden Jahr insgesamt 75 Städte den Titel „European City of Reformation“ erhalten, sagte der Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, Bischof Michael Bünker (Wien). Wolfsburg sei als Industriestandort für Themen wie Arbeit und Beruf, Zukunft der Arbeit und Entwicklung der Mobilität bedeutsam. Schließlich gebe es auch eine historische Verbindung: Der Adelige Hans von Bartensleben residierte im 16. Jahrhundert auf der Wolfsburg und initiierte 1555 einen Toleranzvertrag der Konfessionen.
Hartmut Merten