Celle/Lüneburg. „Die Mitgliedschaftsstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland dient dazu, dass wir uns selbstkritischer wahrnehmen.“ Das sagte Landessuperintendent Dieter Rathing am Rande der Sitzung des Celler Kirchenkreistages. Vor den Delegierten des Kirchenkreises Celle referierte der Regionalbischof jüngst über die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Studie unter dem Titel „Engagement und Indifferenz“. Und über „erste Einsichten“ in die Folgen für die kirchliche Arbeit.
„Dass wir im Wesentlichen als Vor-Ort-Kirche wahrgenommen werden“, gehört für Rathing zu den interessantesten Ergebnissen der Befragung. Die meisten Kirchenmitglieder brächten die evangelische Kirche mit kirchlichen Gebäuden in Verbindung. Sie werde zudem vor allem über ihre Mitarbeitenden wahrgenommen, wie etwa die Pastorin, den Diakon oder die Gemeindesekretärin. Persönliche Kontakte suchen und pflegen, lautet für den Landessuperintendenten deshalb eine Konsequenz für die Gemeinden.
In dem Zusammenhang sprach sich Rathing für eine intensive Besuchspraxis aus. Besuche aus Anlass von Amtshandlungen wie der Taufe oder der Konfirmation könnten ebenso dazu gehören wie Besuche bei Menschen in schwierigen Lebenssituationen, zu Geburtstagen oder bei Neuzugezogenen.
Die Bedeutung der Familie für die Weitergabe des Glaubens ist für den Geistlichen ein weiteres herausragendes Ergebnis der 2012 durchgeführten Befragung mit gut 3000 Teilnehmern. „Aber realisieren wir das“, fragte Rathing selbstkritisch. Der Landessuperintendent weiß, dass etwa das Abendgebet von Eltern mit ihren Kindern, das ihn selber geprägt hat, heute kaum mehr üblich ist. „Wir müssen solche Formen religiöser Praxis wieder in Gang bringen und Familien Anregungen dazu geben“, forderte Rathing.
Besondere Bedeutung misst der Landessuperintendent dabei kirchlichen Kindertagesstätten zu. In dem Zusammenhang bedeute der Zusammenschluss solcher Einrichtungen zu Kita-Verbänden als Alternative zur Trägerschaft durch Kirchengemeinden trotz mancher Vorteile „ein Problem“. Dabei sei die religionspädagogische Arbeit eine große Chance, lobte Rathing die eigens für diese Aufgabe errichtete Pastorinnenstelle im Kirchenkreis Celle.
Erschüttert habe ihn, dass nur zwei Prozent der Konfessionslosen sich vorstellen können, in die Kirche einzutreten oder wieder einzutreten, gestand Rathing. Vor 20 Jahren hätten die Kirchensoziologen mit Blick auf die sogenannten Distanzierten noch von der „Fremden Heimat Kirche“ gesprochen, erinnerte er an die dritte Mitgliedschaftsuntersuchung. „Das gilt nicht mehr, Konfessionslosigkeit ist ein Normalzustand geworden“, konstatierte der Landessuperintendent.
„Wir müssen wahrnehmen, dass sich um uns herum viel verändert hat und weiter verändert“, mahnte Rathing zu einem realistischen Blick auf die Situation, „daran mangelt es uns“. Gesellschaftliche Trends wie etwa der demografische Wandel oder die allgemeine Skepsis gegenüber Institutionen ließen sich nicht einfach umdrehen, warnte der Regionalbischof auch vor überhöhten Ansprüchen.
Doch Resignation wollte Rathing mit seinem Vortrag keineswegs verbreiten. „Müssen wir nicht vielmehr auf die Menschen zugehen?“, machte er Mut zur Suche nach neuen Formaten kirchlicher Angebote. Nach wie vor habe die Kirche große Bedeutung für die Gesellschaft, das zeige sich im Sprengel an vielen Stellen guter Zusammenarbeit von Kirche und Kommunen, sagte Rathing. Viele Politiker wüssten zu schätzen, was die EKD-Erhebung das „Sozialkapital“ der Kirche nennt: Kirchenmitglieder engagieren sich demnach häufiger als Konfessionslose in Vereinen, Parteien und Initiativen. Sie hätten darüber hinaus ein überdurchschnittliches Vertrauen in andere Menschen, kirchliche Mitarbeit habe nicht zuletzt eine positive Wirkung auf die Ausbildung zwischenmenschlichen Vertrauens.
Hartmut Merten