Hanns-Lilje-Forum diskutierte über demografischen Wandel
Trendige Fernsehformate und hochglänzende Printmagazine machen einerseits Lust zum Leben auf dem Lande. Andererseits zeugen leer stehende Häuser und vergreisende Dörfer eher von Landfrust. Was sind geeignete Maßnahmen, um der Entwicklung entgegenzusteuern? Bedeutet Anpassung nur eine Linderung der Symptome? Kann es in den ländlichen Regionen Niedersachsens gar einen neuen Aufbruch geben? Diese Fragen stellte Landessuperintendent Dieter Rathing kürzlich in seinem Grußwort zur Eröffnung einer Podiumsdiskussion in der Lüneburger St. Nicolaikirche. Der Regionalbischof hatte gemeinsam mit der Hanns-Lilje-Stiftung zu dem Forum eingeladen, das Thema: „Wachsende Städte, schrumpfende Dörfer: Wie steigern wir die Lebensqualität?“
Birgit Honé, Staatssekretärin in der Niedersächsischen Staatskanzlei, erinnerte in ihrem einleitenden Impulsreferat an die Bevölkerungsprognose. Bis 2030 sei ein Rückgang der Einwohnerzahl um 6,4 Prozent zu erwarten, Niedersachsen werden dann noch 7,4 Millionen Einwohner haben. Dabei verlaufe die Entwicklung in den einzelnen Regionen voraussichtlich unterschiedlich. Während etwa der Landkreis Vechta ein Bevölkerungsplus erwarten dürfe, könnten vor allem der Harz, das Weserbergland und der Raum Lüchow-Dannenberg laut Honé bis zu einem Viertel ihrer heutigen Einwohnerzahl verlieren, zugleich werde das Durchschnittsalter deutlich ansteigen.
Schon jetzt gebe es in manchen Gegenden einen Überhang von Wohnbauland und nicht genutzten Gewerbeflächen, sagte die Politikerin. Kindertagesstätten und Schulen, Krankenhäuser und der öffentliche Personennahverkehr seien mancherorts nicht mehr ausgelastet. Auch die wohnortnahe medizinische Versorgung, der zunehmende Bedarf an Dienstleistungen für ältere Menschen und fehlende Facharbeitskräfte erforderten politisches Handeln. Dazu gehören für die ehemalige Lüneburger Regierungspräsidentin vor allem die Förderung der Wirtschaft, insbesondere die Verbesserung von Bildung und Qualifizierung. Senioren bedeuteten einen Wirtschaftsfaktor, beschrieb Birgit Honé eine Chance der demografischen Entwicklung. Um „lebenswerte Dörfer abseits der Zentren“ erhalten zu können, seien beispielsweise mobile Versorgungs- und Dienstleistungsangebote, aber auch bürgerschaftliches Engagement und Nachbarschaftshilfe nötig.
Prof. Dr. Javier Revilla Diez, Wirtschaftsgeograph an der Leibniz Universität Hannover beklagte in seinem Statement unter anderem den Verlust der Nahversorgung. „Damit bricht das Herz des Dorfes weg“, sagte der Hochschullehrer. Neben aktivem politischem Handeln könne mancherorts auch „passive Sanierung“ geboten sein, also der bewusste Verzicht auf Fördermaßnahmen. „Schrumpfung kann ein heilsamer Prozess sein“, sagte Javier Revilla Diez, der vor allem auf eine Stärkung der „endogenen“, also örtlichen Entwicklungspotentiale setzt.
„Wir müssen uns auf dem Lande selber helfen“, hat auch Heinz Behrends erkannt. Für den Superintendenten des ländlichen Kirchenkreises Leine-Solling mit insgesamt 103 Sakralgebäuden könnten „von der Kirche alle lernen“. Ob jung oder alt, Menschen lebten von Beziehungen. „Die soziale Qualität muss in den Dörfern besser sein als anderswo“, betonte der Theologe. Wo das Miteinander gut sei, gebe es auch Menschen, die für Alte mit einkauften, so Behrends.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging es unter anderem um die Frage, wie weit politische Maßnahmen zum Erhalt ländlicher Strukturen gehen sollten und ob man Dörfer auch sterben lassen dürfe. Eine in der Stadt lebende Zuhörerin gestand: „Ich brauche das Land für meine Sehnsüchte und zur Erholung.“ Gerade das Wendland erschien schließlich als „Paradebeispiel für neue Ideen, wie sich Dörfer entwickeln können.“ Christoph Dahling-Sander jedenfalls, der die Diskussion als Sekretär der Hanns-Lilje-Stiftung moderierte, verspürte am Ende der Diskussion „mehr Landlust als Landfrust“.
Hartmut Merten