Christen bei Volkswagen rufen zum Innehalten auf
Wolfsburg/Lüneburg. Die Signalstärke deutet auf besten Empfang hin, auch das „Ton-an“-Symbol ist zu erkennen. Die Gestaltung des Kärtchens erinnert an einen Smartphone-Wecker: „12:00 – Beten jetzt!“ steht darauf zu lesen. Neuerdings lädt die Initiative „Christen bei Volkswagen“ auf der Höhe des Tages zum Innehalten ein. Pastor Peer-Detlev Schladebusch vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) stellte die Idee jetzt bei einem Treffen von Mitarbeitenden im Sprengel Lüneburg vor.
Die durch den Abgasskandal ausgelöste Krise bei VW beschäftige nahezu alle Werks-Mitarbeitenden, berichtete Schladebusch. Nicht wenige sorgten sich um ihren Job. Das zeige auch ein Anruf, der ihn kürzlich aus dem Werk erreicht habe: „Wir müssten eigentlich jeden Tag beten, möglichst zur selben Zeit und an dem Ort, wo wir gerade sind.“
Schladebusch erinnerte sich an das alte Stundengebet der Klöster. Und an die mittags läutende Glocke, die einst die Arbeiter auf den Feldern zum Gebet aufrief. Gemeinsam mit anderen „Christen bei Volkswagen“ setzte er die Idee daraufhin in die Tat um. „Das Leben und Arbeiten bekommt eine Struktur, eine Zielorientierung, Perspektive und gleichzeitig neue Gelassenheit“, ist Schladebusch überzeugt. Dass die geistliche Besinnung zu Solidarität mit Konkurrenten führen kann, erfuhr der KDA-Pastor anlässlich eines Besuchs bei Daimler: „Wir beten jetzt auch für die Christen bei Volkswagen.“
Unter der Überschrift „Meine Zeit in Gottes Händen“ regt das Kärtchen zu einem dreiminütigen Innehalten während einer Arbeitspause an. Dabei könne es um das Staunen über die Güte des Schöpfers ebenso gehen wie um „Bitten für Menschen um mich herum“ oder Vertrauen in die Führung des Geistes. Die Initiative wolle den Auftrag an Menschen „bewusst ganz neu“ machen: Gott und den Menschen zu dienen, erläutert der Theologe.
Laut Schladebusch werden die VW-Unternehmensrichtlinien derzeit überarbeitet. Ob sie auch besser werden als die bisherigen, bleibe abzuwarten. Um den verunsicherten Beschäftigten Orientierung zu geben, hat Schladebusch jetzt „Zehn Gebote für die Arbeitswelt“ formuliert, in Anlehnung an den Dekalog der Hebräischen Bibel. „Lass Gott die Hauptrolle in deinem Leben spielen. Nimm seinen Auftrag wahr, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Lobe Gott mit deiner Arbeit“, übersetzt der Pastor für Arbeit, Wirtschaft und Soziales zum Beispiel das Erste Gebot. Grundlage für eine Welt, in der das Leben gelingen kann, sei die Verantwortung vor Gott, den Menschen und sich selbst, betont Schladebusch.
„Mehr als vorher“ würden solche Gedanken in der gegenwärtigen Situation gern aufgenommen, hat der Seelsorger erfahren. Die Krise bei Volkswagen sei angesichts des erklärten Ziels, zum größten Autobauer der Welt zu werden, offenbar zur rechten Zeit gekommen. Denn die schwierige Situation biete auch Chancen: „Man braucht Krisen, um neu ins Nachdenken zu kommen.“
Weil es mitunter Jahre dauern kann, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, will der KDA Lüneburg-Wolfsburg das Thema beim Neujahrsempfang 2016 aufgreifen: Das Motto am Freitag, 22. Januar, um 18.15 Uhr im Kloster Lüne lautet: „Vertrauen gestalten – gemeinsam gewinnen“.
Hartmut Merten