„Wir brauchen offenbar nicht nur den Mindestlohn, sondern auch einen Mindestpreis für Geflügel.“ Dieses Resümee zog Landessuperintendent Dieter Rathing kürzlich nach einem Besuch auf dem Hof von Hähnchenmäster Rainer Wendt. Wenn wirtschaftliche Interessen auf dem Markt zum einzigen Kriterium verkommen, sei um des Tierwohls willen die Politik gefragt. Auf Einladung des Niedersächsischen Landvolks, Kreisverband Gifhorn-Wolfsburg, war Rathing nach seiner Sprengelbereisung 2013 ein zweites Mal nach Zahrenholz gekommen. Zusammen mit Ricarda Rabe vom Kirchlichen Dienst auf dem Lande und Gifhorns neuer Superintendentin Sylvia Pfannschmidt hörte sich der Regionalbischof die Sorgen der Gastgeber an.
Vor allem wegen der Massentierhaltung steht die Branche in der Kritik.Wendt, der auch Vorsitzender des Bundesverbands bäuerlicher Hähnchenerzeuger ist, betreibt auf seinem Hof drei Ställe mit jeweils 42.000 Tieren. Innerhalb von sechs Wochen werden die Eintagsküken zur Schlachtreife gebracht. Laut Joachim Zeidler, Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbands, bleibt den Bauern nichts anderes übrig: „Wer heute in der Hähnchenwirtschaft bestehen will, kann nur immer weiter wachsen."
Das bestätigt Rainer Wendt, der zurzeit zwei weitere Ställe plant, um seinem Sohn eines Tages einen wirtschaftlichen Betrieb hinterlassen zu können. Dabei steht auch für ihn das Tierwohl auf der Prioritätenliste ganz oben. Dass Rainer Wendt seit Jahren keine Antibiotika mehr einsetzen musste und die Sterblichkeitsrate seiner Tiere dank homöopathischer Behandlungsalternativen und penibler Einhaltung der Hygienevorschriften vergleichsweise niedrig ist, nimmt er als ein Indiz dafür, dass sich die Tiere bei ihm relativ „wohl fühlen“.
Um das Wohl der Tiere weiter zu fördern, würde Wendt den Nutztieren jedoch lieber heute als morgen mehr Platz einräumen. So hat er sich beispielsweise eingehend mit Modellprojekten befasst, die eine geringere „Besatzdichte“, Spielmaterial, längere Mastzeiten, Ställe mit Tageslicht und sogar Auslauf im Freien beinhalten. Doch das Projekt sei „an der Macht der Verbraucher gescheitert“, klagt Wendt. Die Menschen seien nicht bereit, mehr zu bezahlen. Das belege das Verhalten der Käufer an der Ladentheke.
Auch in Verhandlungen mit den Vertretern des Handels gehe es einzig darum, die Preise im Einkauf zu drücken. Zumal die Konkurrenz auf dem Weltmarkt groß ist. „Die Macht des Handels ist viel zu wenig bekannt“, gab Landwirtschafts-Pastorin Ricarda Rabe einen Tipp für die Öffentlichkeitsarbeit der Bauern. Auch, dass hiesige Erzeuger auf einem globalen Markt agieren, sei längst nicht überall angekommen.
Nach Ansicht von Superintendentin Pfannschmidt sollte die Kirche versuchen, auf das Verbraucherverhalten Einfluss zu nehmen und selbst mit gutem Beispiel voran gehen. So wie in manchen Gemeinden ausschließlich fair gehandelter Kaffee angeboten wird, könnten in kirchlichen Einrichtungen auch für den Fleischverbrauch Mindeststandards gelten.
Trotz aller Schwierigkeiten übe er seinen Beruf gern aus, bekannte Rainer Wendt. Das bestätigte Cosima von Cossel: „Hundert Tausend gesunde und top gemanagte Tiere sind mir lieber als kranke.“ Die junge Landvolk-Mitarbeiterin nannte die Freude am Umgang mit Tieren und mit der Natur als Motivation für ihren Beruf, wohl wissend: „Landwirte haben große Verantwortung.“
Hartmut Merten