Landessuperintendent zieht nach Besuchsreihe Bilanz
„Eigentlich geht es uns gut, das größte Problem ist der fehlende Nachwuchs.“ Diese oder ähnliche Worte hörte Landessuperintendent Dieter Rathing in der vergangenen Woche oft. Um Menschen im Handwerk näher kennenzulernen und aktuelle Herausforderungen der Branche wahrzunehmen, besuchte der evangelische Regionalbischof 14 Betriebe im nordöstlichen Niedersachsen. Rathing sprach zudem mit Vertretern der Kreishandwerkerschaften und der Handwerkskammer. Dabei wurde immer wieder eine mögliche Lösung diskutiert: die Integration von Flüchtlingen.
Allerdings erwarteten die Betriebe laut Matthias Steffen von der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, dass die betreffenden Flüchtlinge einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen und „eine Affinität zu dem angestrebten Beruf erkennen lassen“. Um Erfahrungen mit der Qualifizierung von Flüchtlingen zu sammeln, würde der stellvertretende Hauptgeschäftsführer gern mit der Kirche zusammenarbeiten. Rathing verwies in dem Zusammenhang auf die beispielhafte Flüchtlingsarbeit des Kirchenkreises Winsen/Luhe und die „interkulturelle Kompetenz“ des Missionswerkes und der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg.
Die Sprengelreise war von Pastor Claus Dreier, Referent für Kirche und Handwerk im Haus kirchlicher Dienste (Hannover), in Zusammenarbeit mit Heidi Kluth vorbereitet worden. Die Betriebswirtin aus Buchholz in der Nordheide ist Geschäftsführerin eines Sanitär- und Heizungsunternehmens, Bundesvorsitzende der Unternehmerfrauen im Handwerk und engagiert sich zudem in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Handwerk. So gewann Rathing unter anderem Einblicke in die Gewerke Tischlerei, Zimmerei und Elektrotechnik. Auch Besuche bei einem Bäcker, einem Friseur und einer Fleischerei standen auf dem Programm.
Fast alle Betriebe sind für die Zusammenarbeit mit Migranten aufgeschlossen, hat Rathing festgestellt. Für den Regionalbischof des Sprengels Lüneburg zeigt sich hier die „hohe Sozialkompetenz des Handwerks“, die gerade in Ausbildungsfragen gefordert sei. Neben der fachlichen Qualifikation bräuchten viele Auszubildende Hilfe bei der Erstellung von Berichten. Und oft auch Unterstützung bei der Entwicklung von Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit. Eine Aufgabe, die vielfach die mitarbeitenden Frauen im Betrieb wahrnehmen, wie Rathing erfahren hat.
Zu den Problemen des Handwerks gehört die Konkurrenz durch Billiganbieter. „Unser Handwerk ist seit etwa 15 Jahren am Zerfransen“, berichtete beispielsweise Rolf Schneider aus Bad Fallingbostel. Die „Dequalifikation“ der Friseure führe zu einem Preisverfall und letztlich zum Verlust handwerklicher Traditionen. Für den ehemaligen Präsidenten der Handwerkskammer ist das „ein Drama“. Gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls den Meistertitel führt, setzt das Unternehmen dagegen auf Qualität: „Wir werben mit unserer Arbeit, wollen die Kunden begeistern.“
Während heute viele Waren unpersönlich über das Internet gehandelt werden, stehe das Handwerk für einen intensiven Kontakt zu den Menschen, lobte der Landessuperintendent. Im Falle des Uelzer Steinmetzbetriebes Meyn, der Grabmale herstellt, seien die Mitarbeiter nicht selten als Seelsorger gefordert. „Das Handwerk steht face to face für seine Leistungen ein.“
Dass die Arbeit ausnahmslos von ausgebildeten Fachkräften erbracht werde, es keine ungelernten Hilfskräfte gebe, habe ihn überrascht, gesteht Rathing. Es gebe einen hohen Qualifizierungsgrad. Auch die verbreitete Bereitschaft, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, habe ihn beeindruckt. So seien viele Handwerksmeister über ihren eigenen Betrieb hinaus engagiert, zum Beispiel in Innungen und Kreishandwerkerschaften, in der Kommunalpolitik oder auch in Kirchengemeinden.
Während der fünftätigen Reise sei ihm auch deutlich geworden, „wie viel Herz im Handwerk steckt“, resümierte Rathing. Die Handwerker, denen er begegnet sei, strahlten allesamt eine große Begeisterung für ihre Sache aus. Wie zum Beispiel die junge Möbel- und Intarsientischlerin Rebecca Vaick aus Stöckte an der Elbe, die schon als 13-Jährige wusste, was sie werden will. Wenn Rebecca Vaick ihre selbst entworfenen Möbelstücke zeigt oder auf Details ihrer Intarsien hinweist, strahlen die Augen. „Ich stehe morgens auf und sage mir: Ja! Jetzt darf ich in die Werkstatt.“ So voller Überzeugung von seiner Arbeit reden zu können, sei „der Gipfel für jeden Beruf“, sagte Rathing.
Handwerks-Pastor Claus Dreier, der den Landessuperintendenten auf seiner Reise begleitete, erinnerte an die jahrhundertealte Nähe von Handwerk und Kirche. Der Fachdienst im Haus kirchlicher Dienste verstehe sich als Partner des Handwerks, betonte Dreier. Als Handwerks-Pastor stehe er als Gesprächspartner zur Verfügung, berate in ethischen Fragen und wolle den Menschen auch als Seelsorger zur Seite stehen. „Was die Kirche dem Handwerk anbietet, ist Dialog.“ (mer)