Regionalbischof Dieter Rathing kann dem Corona-bedingten Abstandsgebot auch positive Seiten abgewinnen. Das wurde in einer Andacht deutlich, die ergemeinsam mit seinem Hildesheimer Kollegen Eckhard Gorka zur Eröffnung der Herbsttagung der Landessynode gestaltete. Die Andacht wurde digital übertragen. Hier der Andachtsteil von Dieter Rathing im Wortlaut.
Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube das nicht. Ich glaube das nicht, was viele vom Virus erzählen. Ja, ich bin in der Synode lieber analog als digital. Gorkas Kommentare sind besser live als im Chat. Und ja, ich vermisse Begegnen, Händeschütteln, Umarmen, die räumliche Nähe. Küsse schmecken besser als Smileys.
Aber macht es wirklich die Nähe? Ist es wirklich das Zusammensein an einem Ort, das uns als Menschen wesentlich verbindet? Ich glaube das nicht. Ich glaube sogar das Gegenteil. Ich glaube, wir können wesenhaft verbunden sein – auf Abstand. Ich glaube, unter Umständen kann uns die Trennung voneinander näher zueinander rücken und mehr verbunden sein lassen, als der äußere Anschein es hergibt.
Drei Erfahrungen:
Die erste: Die meisten von uns hätten wohl in ihren Jugendjahren gedacht, sie würden ihre Eltern einigermaßen gut kennen. Schließlich lebte man mit ihnen am selben Ort - man redete jeden Tag miteinander, man wusste voneinander, was man wissen wollte. Aber wer von uns hätte damals gewusst, wer seine Eltern wirklich sind?
Inzwischen haben wir noch Fotos, vielleicht nur noch einen Grabstein, viele ungeordnete Erinnerungen. Und doch begibt es sich in diesem Abstand, dass wir unsere Eltern immer besser verstehen. Klarer ordnen sich Bilder und Eindrücke. Erst die Entfernung aus dem gemeinsamen Raum macht es, dass wir begreifen oder wenigstens anfangen zu ahnen, wer diese Menschen waren, die uns ins Leben geschickt haben.
Die zweite Erfahrung: Jeder von uns kennt Zeiten aus der Familie, aus Freundschaften oder einer Liebe, wo man sich über Wochen, über Monate oder sogar Jahre nicht nahe sein konnte – aus welchen Umständen auch immer. Kind im Urlaub oder im freiwilligen sozialen Jahr, Ehepartner aus beruflichen Gründen weit weg. Eltern am anderen Ort.
In diesen Zeiten der räumlichen Entfernung mag es Momente gegeben haben, wo Sie sich mit dem oder der anderen näher waren, näher fühlten als in manchen Alltagszeiten vorher oder nachher. Da war man sich zwar räumlich, körperlich nahe, aber die innere Nähe zueinander war nicht viele Gedanken wert. Vieles davon wiederholt sich in diesen Monaten: Räumlich getrennt, aber innerlich um so intensiver verbunden.
Diese Erfahrung steckt auch ganz tief in unserem Glauben. Von Anfang an.
Die Jünger: mit Jesus auf Schritt und Tritt zusammen. Aller Orten auf Du und Du mit ihm. Und wie oft haben sie ihn nicht verstanden!? Haben nichts von ihm verstanden!?
Erst als Jesus räumlich von ihnen entfernt war, hat Jesus ihnen richtig gedämmert. Nach Ostern und erst recht nach Pfingsten sind sie erst wirklich seine Jünger geworden. Auf unsichtbare Weise ihre Seelen und Sinne mit ihm und untereinander verbunden. Auf unsichtbare Weise unsere Seelen und Sinne mit ihm und untereinander verbunden. Und alles, was daran stark und schön und groß ist, hat nichts mit einem Ort, hat nichts mit körperlicher Nähe zu tun.
Ja, Gorka live ist immer besser als im Chat, und weiterhin werden Küsse besser schmecken als Smileys. Doch was uns über jede Entfernung und allen Abstand hinweg zu verbinden vermag, das ist stärker und schöner und größer:
Der Gleichklang des Glaubens – über Zeit und Raum hinweg Gott Vertrauen schenken.
Das Tun von Taten der Liebe – den Nächsten nicht übersehen, die Fernen nicht vergessen.
Und am Ende: das Wagnis zu hoffen - auf die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, auf die Liebe Gottes und auf die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Amen.