Was Popkultur-Theologie erreichen kann

„Taylor Swift und Darth Vader in der Gemeindearbeit bieten das Potenzial Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen.“

Was haben Taylor Swift, Star Wars und Harry Potter mit Theologie zu tun? Der junge Pastor Patrick Haase aus der Gemeinde Knesebeck nutzt Popkultur-Theologie, um den Glauben in die Lebenswelt der Menschen zu tragen. Wie genau das funktioniert und warum dies nicht nur junge Menschen anspricht, erzählt er im Interview.

Herr Haase, Sie sind einer der jüngeren Pastoren in unserem Sprengel und haben sich intensiv mit Popkultur-Theologie beschäftigt. Was hat Sie dazu bewegt, sich diesem Thema zu widmen?
 

Patrick Haase: Ich bin von Anfang an fasziniert davon gewesen, wie Popkultur und Theologie miteinander in Verbindung stehen können. Bereits im Studium habe ich mich viel mit der Frage auseinandergesetzt, wie moderne kulturelle Phänomene mit biblischen Inhalten verknüpft werden können. Popkultur ist eine Massenkultur, die Emotionen anspricht und viele Menschen erreicht. Sie hat das Potenzial, Menschen in ihrer Lebenswelt abzuholen, und das ist für die Kirche ein großer Gewinn.

Als junger Pastor sehe ich es als meine Aufgabe, neue Wege zu gehen, um die Botschaft des Evangeliums den Menschen auf eine Art und Weise zu vermitteln, die sie direkt anspricht und emotional berührt.

Was verstehen Sie unter diesem Begriff und welche Rolle spielt er in Ihrer Gemeindearbeit?

Patrick Haase: Popkultur-Theologie verbindet populäre Kultur mit theologischen Inhalten. Populäre Kultur ist eine emotional extrovertierte Massenkultur, die viele Menschen erreicht. Sie ermöglicht es somit, existenzielle Fragen aufzugreifen und Sinn zu stiften. Die Theologie kann davon profitieren, indem sie popkulturelle Phänomene nutzt, um Menschen in ihrer Lebenswelt anzusprechen und ihnen eine Verbindung zu biblischen Inhalten zu bieten. In meiner Gemeindearbeit arbeite ich oft mit Popkultur, weil sie Menschen emotional erreicht und hilft, religiöse Botschaften verständlicher und zugänglicher zu machen.

Sie haben beispielsweise einen Taufgottesdienst zum Thema "Die kleine Meerjungfrau" gestaltet. Was war der theologische Ansatz dahinter?

Patrick Haase: Bei diesem Gottesdienst ging es um das Märchen der kleinen Meerjungfrau, insbesondere in der Version von Hans Christian Andersen. Die Meerjungfrau sehnt sich nach Vollständigkeit und einem ewigen Leben. Das ist eine sehr tiefe, theologische Botschaft, die hervorragend zur Taufe passt. In der Taufe geht es ja ebenfalls um das Versprechen eines neuen, vollständigen Lebens in Christus. Ich habe in diesem Gottesdienst die Bilder und Symbole aus dem Märchen genutzt, um den Menschen die Bedeutung der Taufe näherzubringen.

Die kleine Meerjungfrau steht symbolisch für die menschliche Sehnsucht nach einem erfüllten, ewigen Leben – etwas, das Gott uns in der Taufe verspricht. Das Märchen bietet einen emotionalen Zugang zu diesem Thema, der die Menschen erreicht, insbesondere diejenigen, die vielleicht mit traditionellen religiösen Symbolen weniger vertraut sind. Dieses Sehnen nach Vollständigkeit ist auch eine Botschaft des Evangeliums, die in popkulturellen Geschichten, wie der der kleinen Meerjungfrau, sichtbar wird. Auch der Song "Under the Sea" aus "Arielle, die Meerjungfrau" lässt sich gut für tiefere theologische Botschaften nutzen.

Wie lässt sich ein Kriegs-Epos wie Star-Wars in den Gottesdienst oder in die Gemeindearbeit integrieren?

Patrick Haase: In meinem Star-Wars-Gottesdienst habe ich anstelle die Kriegsthematik in den Vordergrund zu stellen, auf die Friedensbotschaft von Star Wars gesetzt, den inneren Kampf zwischen Gut und Böse und die Hoffnung auf Erlösung. Figuren wie Yoda oder Darth Vader bieten starke Anknüpfungspunkte, um über die Herausforderungen des Lebens zu sprechen. Popkulturelle Symbole und Geschichten eröffnen neue Zugänge zur biblischen Botschaft.

„Phänomene wie „Taylor Swift“ oder „Herr der Ringe“ bieten Reflexionsräume und lassen sich gut in Gottesdienste integrieren.“ 

Pastor Patrick Haase

Gibt es aktuelle popkulturelle Phänomene, die Sie besonders relevant finden für die Gemeindearbeit?

Patrick Haase: Popkulturelle Phänomene haben das Potenzial, Menschen zu verbinden, gerade in unserer fragmentierten, postmodernen Gesellschaft. Phänomene wie Taylor Swift oder große Franchises wie "Der Herr der Ringe" bieten Reflexionsräume, die sich gut in Gottesdienste integrieren lassen. Sie erreichen Menschen über Generationen hinweg, schaffen gemeinsame Anknüpfungspunkte und sprechen existenzielle Fragen an, die auch in der Theologie relevant sind. 

Wenn ich an die Star-Wars-Epen denke, so fällt auf, dass sich Menschen auf der ganzen Welt diese Filme ansehen – von Asien über Amerika bis Afrika. Es ist nichts Exklusives oder etwas spezifisch Nationales. Alle können sich damit identifizieren. Besonders beeindruckend ist es, wie Künstlerinnen wie Taylor Swift es schaffen, Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und politischen Lagern zusammenzubringen. 

„Popkultur-Theologie keine Neuerfindung, sondern eine zeitgemäße Fortsetzung einer Tradition von Jesus Christus.“

Pastor Patrick Haase

Sie haben sich in Ihrem zweiten Examen auch auf Popkultur-Theologie prüfen lassen. Im Hinblick auf die Theorie: Was genau verstehen Sie darunter, und wie definieren Sie den Begriff?

Patrick Haase: Popkultur-Theologie ist die Auseinandersetzung mit populärer Kultur im theologischen Kontext. Populäre Kultur, wie sie der Theologe Ingo Reuter definiert, ist eine emotional extrovertierte, rezipierte Massenkultur, die Sinn generiert. Sie spricht Menschen über emotionale und gemeinschaftliche Erlebnisse an. Popkultur hat das Potenzial, grundlegende Fragen der menschlichen Existenz zu thematisieren: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Was gibt meinem Leben Sinn? 

Diese Fragen beschäftigen uns auch in der Theologie. Popkultur-Theologie greift diese Fragen auf und verbindet sie mit religiösen Inhalten. Jesus Christus selbst hat in seiner Zeit eine Form der populären Kultur genutzt, um den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden. Er sprach die Sprache des Volkes, nutzte Gleichnisse aus dem alltäglichen Leben und erreichte dadurch eine große Vielfalt an Menschen. In diesem Sinne ist Popkultur-Theologie keine Neuerfindung, sondern eine zeitgemäße Fortsetzung dieser Tradition.

„Wie gehen wir mit dem Bösen in uns um? Wie finden wir Erlösung und Vergebung? Diese Themen können in einem „Star Wars“-Gottesdienst genauso behandelt werden wie in einer klassischen Predigt.“

Pastor Patrick Haase

Könnte man sagen, dass Popkultur in gewisser Weise eine moderne Form von Volksreligiosität ist?

Patrick Haase: Das kann man so sagen. Popkulturelle Phänomene, wie etwa Konzerte oder große Franchise-Universen wie „Star Wars“, schaffen ein Gemeinschaftsgefühl und sprechen existenzielle Themen an, ähnlich wie Religion. In der Popkultur gibt es auch Symbole, Rituale und Erzählungen, die religiösen Inhalten sehr nahe kommen.

Denken wir zum Beispiel an die Figur des Anakin Skywalker alias Darth Vader aus „Star Wars“. Er durchlebt einen inneren Kampf zwischen Gut und Böse, was an biblische Figuren wie Simson oder Jakob erinnert, die ebenfalls mit ihrer dunklen Seite kämpfen. 

Diese Geschichten berühren uns, weil sie universelle menschliche Themen ansprechen. In der Theologie geht es um ähnliche Fragen: Wie gehen wir mit dem Bösen in uns um? Wie finden wir Erlösung und Vergebung? Diese Themen können in einem „Star Wars“-Gottesdienst genauso behandelt werden wie in einer klassischen Predigt.

Welche Rolle spielt Popkultur-Theologie in der modernen Gemeindearbeit? Und wie reagieren die Gemeindemitglieder auf solche innovativen Ansätze?

Patrick Haase: Popkultur-Theologie spielt eine entscheidende Rolle, um die Kirche in unserer Zeit relevant zu halten. Sie ermöglicht es uns, auf Augenhöhe mit den Menschen zu kommunizieren und ihre Lebenswelt ernst zu nehmen. In einer Zeit, in der viele Menschen der Kirche eher distanziert gegenüberstehen, ist es umso wichtiger, Anknüpfungspunkte zu finden, die ihre Fragen und ihre Lebenswirklichkeit aufgreifen. Popkultur bietet solche Anknüpfungspunkte. 

Die Reaktionen auf diese Ansätze sind überwiegend positiv. Besonders bemerkenswert finde ich, dass auch ältere Gemeindemitglieder sehr offen für popkulturelle Bezüge sind. Viele von ihnen sind selbst mit Phänomenen wie den Beatles, „Star Wars“ oder anderen kulturellen Meilensteinen aufgewachsen, so dass es keine allzu große Kluft zwischen den Generationen gibt. Natürlich gibt es auch vereinzelt kritische Stimmen, aber in der Regel sind die Menschen dankbar für die neuen Zugänge, die ihnen geboten werden.
 

„Popkulturelle Phänomene wie die Musik von Taylor Swift oder „Harry Potter“ bieten ihnen Orientierung und emotionale Ankerpunkte.“

Pastor Patrick Haase

Inwiefern kann Popkultur-Theologie helfen, junge Menschen wieder stärker für den Glauben und die Kirche zu begeistern?

Patrick Haase: Popkultur bietet Jugendlichen eine Sprache und eine Lebenswelt, die ihnen vertraut ist. Insbesondere junge Menschen suchen oft nach Identität, Gemeinschaft und Sinn in einer Welt, die sie manchmal verunsichert. Popkulturelle Phänomene wie die Musik von Taylor Swift oder „Harry Potter“ bieten ihnen Orientierung und emotionale Ankerpunkte. Diese kulturellen Phänomene thematisieren ähnliche Fragen, wie sie auch im Glauben zentral sind: Wer bin ich? Was gibt meinem Leben Halt? 

Popkultur-Theologie nutzt diese Ankerpunkte, um biblische Botschaften auf eine Weise zu vermitteln, die für junge Menschen relevant und verständlich ist. Beispielsweise habe ich in einem Konfirmandencamp mit den Jugendlichen Droiden aus „Star Wars“ gebastelt und sie dazu angeregt, sich Gedanken über Botschaften für die Zukunft zu machen. Das verbindet das kreative Arbeiten mit theologischen Reflexionen – und das kommt bei den Jugendlichen sehr gut an.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Integration von Popkultur in den kirchlichen Kontext?

Patrick Haase: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, das Gleichgewicht zu halten zwischen der Aufnahme popkultureller Elemente und der Wahrung der theologischen Tiefe. Es geht nicht darum, die Kirche zu einem Pop-Event zu machen oder den Gottesdienst zu einem reinen Unterhaltungsformat zu degradieren. Popkultur darf nicht zum Selbstzweck werden. Vielmehr muss sie in den Dienst der Verkündigung gestellt werden. Die Herausforderung besteht darin, die symbolische und narrative Kraft von Popkultur zu nutzen, ohne dabei die Ernsthaftigkeit der theologischen Inhalte zu verwässern.

Ein weiterer Punkt ist der Dialog zwischen den Generationen. Während jüngere Menschen oft offen für popkulturelle Bezüge sind, reagieren manche ältere Gemeindemitglieder eher skeptisch. Hier braucht es Fingerspitzengefühl, um die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse zusammenzuführen.

„Popkultur-Theologie bietet die Chance, Brücken zu bauen und neue Zugänge zum Glauben zu schaffen.“

Pastor Patrick Haase

Welche Chancen bietet Popkultur-Theologie für die evangelische Kirche in Deutschland?

Patrick Haase: Die evangelische Kirche in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Der Mitgliederschwund, die zunehmende Säkularisierung und der Vertrauensverlust vieler Menschen in institutionelle Religionen sind deutliche Zeichen unserer Zeit. Popkultur-Theologie bietet die Chance, Brücken zu bauen und neue Zugänge zum Glauben zu schaffen. Indem wir uns auf die Lebenswelt der Menschen einlassen und popkulturelle Phänomene ernst nehmen, können wir den Glauben auf eine Art und Weise vermitteln, die relevant ist. 

Es geht darum, die Frohe Botschaft in einer Sprache zu verkünden, die die Menschen verstehen. Dabei bleiben wir unseren theologischen Grundlagen treu, nutzen aber moderne Formen, um die biblische Botschaft zu transportieren. Wenn uns das gelingt, können wir viele Menschen – besonders auch die jüngeren Generationen – wieder stärker an die Kirche binden.

Popkultur wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Sie bietet die Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich vielleicht von traditionellen kirchlichen Formaten nicht angesprochen fühlen. Es geht darum, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Sprache zu sprechen und ihre Lebenswelt ernst zu nehmen. Popkultur-Theologie bietet dafür vielfältige Ansätze, um Glauben erlebbar zu machen.

Über Pastor Patrick Haase

Patrick Haase ist ein weltoffener Theologe, der seit August 2024 als Pastor in Knesebeck tätig ist. Geprägt von seiner südafrikanischen Mutter und dem politischen Engagement seines Vaters, verbindet er tiefen Glauben mit dem Wunsch, eine aufsuchende Kirche zu gestalten. Bereits als Jugendlicher war Haase politisch aktiv, baute Jugendgruppen auf und organisierte Demonstrationen. Doch während seines Studiums der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften erkannte er, dass der politische Weg nicht der richtige für ihn ist. Sein Idealismus lässt keine Kompromisse zu: „Ich möchte nicht etwas aufgeben, woran ich essenziell glaube.“

Sein Glaube ist ein mütterliches Erbe, das in seiner Zeit in Südafrika einen wichtigen Platz einnahm. Nach vier Semestern wechselte er zur Theologie und studierte in Göttingen und Neuendettelsau. „Mein Herz brennt für all das, was mit Theologie zusammenhängt“, sagt er.

Im Vikariat erlebte er die Vielfalt des Pfarrberufs und fand seine Berufung. Für ihn ist der Pfarrberuf eine Möglichkeit, seine Werte zu leben und eine Gemeinschaft zu fördern. Patrick Haase wünscht sich eine Kirche, die aktiv auf Menschen zugeht und sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Er hat sich bewusst für Knesebeck entschieden, eine Gemeinde, die sich in der Arbeit mit Familien, Kindern und Jugendlichen engagiert. In dieser heimatlichen Umgebung sieht er die Chance, eine vielfältige Gemeinschaft zu schaffen und das Evangelium lebendig zu halten.

Mehr zu Patrick Haase
Instagram-Einladung zum Star-Wars-Gottesdienst (Patrick Haase)

Star Wars im Gottesdienst

Auf Instagram können Interessierte die Arbeit von Pastor Patrick Haase verfolgen.

Instagram-Kanal von Patrick Haase

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Die Popkultur-Theologie ist ein relativ neues Feld, das sich an der Schnittstelle von Theologie und Kulturwissenschaften bewegt. Die folgenden Theoretiker haben wesentliche Beiträge zu diesem Thema geleistet. Sie bieten unterschiedliche Perspektiven auf die Frage, wie Popkultur und Theologie zusammenhängen und wie Popkultur zur Vermittlung religiöser Botschaften genutzt werden kann.

Ingo Reuter: Er hat Popkultur als „emotional extrovertierte Massenkultur“ definiert, die ein sinngenerierendes Potenzial hat. Seine Arbeiten sind eine der zentralen Grundlagen, um Popkultur im theologischen Kontext zu verstehen.

Christian Fechtner: Fechtner ist ein praktisch-theologischer Theologe, der sich intensiv mit der Verbindung von Popkultur und Theologie auseinandergesetzt hat. Seine Überlegungen zu den drei Ebenen – semantisch, syntaktisch und pragmatisch – sind wegweisend für die praktische Umsetzung von Popkultur in der Gemeindearbeit.

Joachim Kunstmann: In seinem Essay „Zu Pop und Protestantismus“ beschreibt Kunstmann die Spannungsfelder zwischen der eher ernsthaften Hochkultur des Protestantismus und der Unterhaltungsorientierung der Popkultur. Seine Arbeit betont, wie die Kirche sich mit popkulturellen Phänomenen auseinandersetzen kann, ohne ihre Tiefe zu verlieren.

Gordon Lynch: Ein einflussreicher Religions- und Kulturwissenschaftler, der sich mit der Rolle von Populärkultur als Form von „impliziter Religion“ auseinandersetzt. Er untersucht, wie Filme, Musik und andere kulturelle Ausdrucksformen religiöse Bedürfnisse erfüllen können.

Clive Marsh: Er erforscht die Wechselwirkungen zwischen Film und Theologie und hat viel über die Rolle von Emotionen und populärer Kultur in der Vermittlung religiöser Themen geschrieben.

Tom Beaudoin: Ein katholischer Theologe, der die Rolle der Populärkultur, besonders der Musik, für die Spiritualität und religiöse Erfahrungen erforscht hat. Sein Buch „Virtual Faith“ ist ein Klassiker in diesem Bereich.