Interview mit den Olympia-Pastoren Thomas Weber und Christian Bode

"Wir sind eine Kirche, die mitfiebert, Siege mitfeiert, die Tränen bei Niederlagen aushält."

Seelsorge bei den olympischen und paralympischen Spielen

Pfarrer Thomas Weber aus Gevelsberg und Christian Bode aus Osnabrück sind Evangelische Pfarrer und begleiten im Auftrag der EKD bei den Olympischen Spielen, Paralympics und den Weltspielen der Studierenden / Universiaden Sportler*innen und Teammitglieder der deutschen Mannschaften. In diesem Interview berichten sie davon, wie sie dazu gekommen sind, wie sie dort arbeiten und welche Erlebnisse und Eindrücke für sie besonders prägend waren.

Wie wird man eigentlich „Olympiapfarrer“?

Thomas Weber: Alles begann mit meiner Tätigkeit im westfälischen Arbeitskreis Kirche und Sport. Auf dem Kirchentag in München 1993 lernte ich bei meinem Rundgang über den Markt der Möglichkeiten am Stand von Kirche und Sport den damaligen Sportbeauftragten der EKvW, Dr. Karl-Christoph Flick, kennen. Er baute zu der Zeit in Westfalen ein Netzwerk von Synodalbeauftragten auf, dem ich seitdem sehr gerne angehöre. Mittlerweile habe ich nun selbst die Aufgabe des Sportbeauftragten in meiner Landeskirche übernommen. 
Daneben zähle ich seit vielen Jahren zum Vorstandsteam des EKD-Arbeitskreises Kirche und Sport (Anm.: dem auch Christian Bode angehört). In dieser Funktion als Vorstandsmitglied begleite ich seit 2003 die Studierenden-Nationalmannschaft zur Sommer-Universiade. Diese Weltspiele der Studierenden finden alle zwei Jahre statt und sind nach Olympia die zweitgrößte Multisportveranstaltung der Welt. Meinen ersten Einsatz als Olympia-Pfarrer hatte ich bei den Winterspielen in Turin 2006.

Christian Bode: Mit 17 Jahren habe ich an einer Tischtennis-C-Trainer-Ausbildung teilgenommen. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem zweiwöchigen Kurs waren sieben, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Tatsächlich habe ich am ersten Abend vier der sieben Spiele gegen die „Rollis“ verloren. Das war ein sportlicher Bekehrungsmoment. Mich hat das sehr beeindruckt und der Sport von Grenzen hat mich seit diesem Moment nicht wieder losgelassen. Der Höhepunkt meiner Trainerlaufbahn war nach bewegenden Jahren die Teilnahme an den Paralympics Peking 2008. Das deutsche Team D Paralympics betreue ich als Seelsorger seit London 2012. Das ist eine besondere Aufgabe und Tätigkeit, die mich bis heute sehr erfüllt.

"Kirche und Sport haben viele Berührungspunkte."

Olympiapfarrer Christian Bode
Thomas Weber (Olympiapfarrer der EKD) und Lisa Keilmann (Olympia-Seelsorgerin der Katholischen Kirche) bei den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 (Foto: Thomas Weber)

Warum ist Kirche bei solchen sportlichen Großveranstaltungen dabei?

Christian Bode: Kirche und Sport haben viele Berührungspunkte. Bei sportlichen Großveranstaltungen begleiten wir Menschen in einer besonderen Lebenssituation, machen uns mit Ihnen auf den Weg, betreuen eine Gemeinde auf Zeit, teilen Erfahrungen und haben ein offenes Ohr für alle Anliegen. Wir sind Menschen ganz nahe. Neben Wettkampfstress und Medienrummel sind wir bei Olympia und Paralympics eine „Tankstelle für die Seele“.

Thomas Weber: Der Sport nimmt in unserer Welt einen sehr großen Bereich ein. Als gesellschaftlicher Akteur spielt die Kirche hierbei natürlich auch eine wichtige Rolle. Die christliche Sportarbeit ist enorm. Eine große Zahl von Gemeindegliedern ist ebenso Mitglied in einem Sportverein. Viele Männer und Frauen, die sich im Sport als Jugendleiter oder Trainer engagieren, sind in Kirchengemeinden groß geworden. Kirche ist da, wo die Menschen sind! Deswegen halte ich es für unverzichtbar, auch Seelsorger zu den Olympischen Spielen zu entsenden, um deutlich zu machen: Die Welt des Sports liegt uns am Herzen. „Es gibt so viele Spezialisten (Trainer, Physiotherapeuten…) für uns Aktive, da ist eigentlich jemand, der sich um unsere Seelen sorgt, ebenso wichtig“, hat mal ein Teilnehmer zu mir gesagt.

"Die Teammitglieder wissen um unsere offenen Ohren und unsere Verschwiegenheit"

Olympiapfarrer Thomas Weber
Paralympische Flagge (Foto: Raphael Lafargue/Abaca Press/Paris 2024)

Was sind die Inhalte, die Ihr als ökumenisches Seelsorgeteam den Menschen vor Ort vermitteln möchtet?

Thomas Weber: Seitdem es die Tradition gibt, dass Seelsorger der beiden großen Kirchen die Menschen im Hochleistungssport begleiten, geschieht die Arbeit in ganz enger ökumenischer Ausrichtung. Auf der einen Seite stehen die geistlichen Angebote. Elisabeth Keilmann als katholische Olympiaseelsorgerin und ich bieten sozusagen „Auszeiten“ an, kurze und ruhige Momente, in denen man auf andere Gedanken kommt. Dazu zählen ökumenische Gottesdienste oder Andachten. Sie finden sowohl in den Athletendörfern, in denen es übrigens jeweils ein großes religiöses Zentrum gibt, als auch im "Deutschen Haus" statt. Zum anderen besteht unsere Aufgabe darin, Zuhörer, Gesprächspartner und Seelsorger zu sein. Die Teammitglieder wissen um unsere offenen Ohren und unsere Verschwiegenheit. Was sie uns erzählen, wird nicht nach außen getragen. Das ist ein wertvolles Gut!

Christian Bode: Kurz gesagt: Wir sind eine Kirche, die mitfiebert, Siege mitfeiert, die Tränen bei Niederlagen aushält, eine Schulter zum Anlehnen, Halt und Orientierung im Glauben bietet. Wir stehen für die frohe Botschaft, dass für Gott jeder und jede einzelne ein Gewinner, eine Gewinnerin ist, ganz egal, ob mit oder ohne Gold, Silber und Bronze.

Haben die Sportler*innen und Teammitarbeitenden überhaupt noch Zeit und Lust daran, an solchen Angeboten teilzunehmen? 

Christian Bode: Die Teilnahme an den Paralympics sind ein Traum für alle Athletinnen und Athleten. Nach so viel Trainingsfleiß und -schweiß möchte man sich beweisen und natürlich am liebsten mit einer Medaille belohnen. Der Fokus für die Sportlerinnen und Sportler liegt zunächst auf dem persönlichen sportlichen Wettbewerb. Das ist aus meiner Sicht verständlich. Wir sind da, wenn wir gebraucht werden, für ein persönliches Gespräch – und sei es ganz spontan auf dem Flur in der deutschen Unterkunft oder an der Wettkampfstätte -, feiern Gottesdienst und beten für alle, auch wenn nur wenige live dabei sind. Und ich weiß, dass es für viele Sportlerinnen und Sportler schon ausreicht zu wissen, dass wir mit dabei sind.

Thomas Weber: Vor den Wettkämpfen ist die Belastung tatsächlich groß. Für alle Beteiligten gilt es, hochkonzentriert zu sein. Gespräche über Gott und die Welt ergeben sich in der Regel eher dann, wenn die Anspannung abgefallen ist: Welche Lebensplanung habe ich eigentlich? Was bedeutet mir der Sport? Auch der Bruch von Beziehungen wird oft angesprochen: Wie gehe ich damit um? Wie geht es nun weiter? Das sind Dinge, die jeden von uns beschäftigen. Die Sportlerinnen und Sportlern stehen aber im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Auf sie wird besonders geschaut und sie müssen mit diesem Druck irgendwie umgehen. Was mir dabei auffällt: Das Selbstwertgefühl wird sehr oft an der Platzierung festgemacht. Manch‘ einer zweifelt an seinen Gaben und Fähigkeiten und fühlt sich wertlos, weil es heißt: „Er ist nur Siebter geworden". Dabei ist allein die Teilnahme an den Olympischen Spielen schon ein riesiger Erfolg. Hier an der Seite der Sportlerinnen und Sportler zu stehen und zu sagen: „Unser Leben ist mehr als das, was wir können und leisten!“, das gehört zu den Aufgaben, die gerade wir als Seelsorger erfüllen können.

"Die Paralympics in London hatten neue Maßstäbe gesetzt. Es waren unvergessliche Spiele mit einer nachhaltigen Wirkung für den Parasport."

Olympiapfarrer Christian Bode
Foto: Paris 2024 - offizielle Fotos der Olympischen Spiele 2024

Kirchen bieten Seelsorge bei Olympischen Sommerspielen und Paralympics an

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz leisten während der Olympischen Sommerspiele (16. Juli bis 11. August 2024) und der Paralympics (28. August bis 8. September 2024) in Paris gemeinsame seelsorgerische Unterstützung für das deutsche Team.

„Ein Fest des Friedens und der menschlichen Begegnung“

Bischof Dr. Stefan Oster SDB (Passau), Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz, betont die tiefe Bedeutung des spirituellen Beistands für die Sportler: „Die Olympischen Spiele und Paralympics symbolisieren ein Fest des Friedens und der menschlichen Begegnung über alle Grenzen hinweg. Sie bieten Raum für persönliches und spirituelles Wachstum. Wir sind dort als Kirche vertreten, um den Athletinnen und Athleten Trost und Inspiration zu spenden. Wir wollen sie in der Überzeugung bestärken, dass jeder Wettkampf auch ein Weg zu innerer Stärke und tieferer Gemeinschaft sein kann. Wir beten um eine Zeit, in der der Geist des fairen Wettbewerbs und des gegenseitigen Respekts das Miteinander prägt.“

Mögen die Athelet:innen offen für einen fairen Wettkampf sein

Präses Dr. Thorsten Latzel (Evangelische Kirche im Rheinland), Sportbeauftragter der EKD, dankt den Menschen in Paris für ihre Gastfreundschaft und wünscht allen Mitwirkenden gesegnete, erfolgreiche und sichere Spiele. „Vor allem für die Sportler/innen sind die Olympischen Spiele einer der absoluten Höhepunkte in ihrer Karriere, auf den sie jahrelang hingearbeitet haben und für den sie intensivst trainiert haben - ähnlich, wie Paulus das in 1. Kor 9,24-27 beschreibt. Gott schenke ihnen, dass sie ihre persönliche Leistung bringen können und einen offenen, fairen Wettkampf haben. Gott bewahre sie vor Verletzungen. Und Gott segne alle Athlet/innen, Betreuer/innen, Mitwirkenden und Zuschauenden, damit es friedvolle Spiele werden."

Für die Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen da sein

Elisabeth Keilmann, Sportseelsorgerin der Deutschen Bischofskonferenz, und Thomas Weber, Olympiapfarrer der EKD, sind vor Ort, um die etwa 800 Teammitglieder zu begleiten. „Unser Hauptanliegen ist es, für die Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen da zu sein und als Notfallseelsorger in Krisensituationen rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen“, erklärt Keilmann. Weber fügt hinzu: „Neben dem sportlichen Wettkampf schaffen wir Räume für Gespräche und Begegnungen, die über den Sport hinausgehen. Die Erfahrung aus früheren Spielen zeigt, dass es diese persönlichen Momente sind, die unser Wirken so wertvoll machen.“

Während der Paralympics wird das deutsche Team neben Elisabeth Keilmann von Christian Bode, Paralympics-Seelsorger der EKD, betreut: „Wir vom Ökumenischen Seelsorgeteam sind mit offenem Ohr und wachem Auge da. Wir bieten Raum für Auszeit und Gespräch, Begleitung und Gebet.“

Gottesdienste und Gesprächsrunden in Paris

Zusätzlich zu den individuellen seelsorgerischen Angeboten werden Gottesdienste und Meditationen angeboten, die den Teilnehmern helfen sollen, Ruhe zu finden und neue Kraft zu schöpfen. „Die gute Vernetzung mit der deutschen evangelischen und katholischen Gemeinde in Paris ermöglicht es uns, auch sonntags Gottesdienste und Gesprächsrunden anzubieten“, fügen die Sportseelsorger hinzu. Im Deutschen Olympischen Jugendlager führen sie außerdem Workshops zum Thema „Werte im Sport“ durch, um junge Athletinnen und Athleten in ihrer ethischen und persönlichen Entwicklung zu unterstützen.

Arbeitskreis Kirche und Sport

Sportseelsorge bei Olympia

Karl Zeiß (1912-1994) gilt als erster evangelischer Olympiapfarrer und leistete Pionierarbeit in der Sportseelsorge bei den Olympischen Spielen in Helsinki im Jahre 1952. Bis einschließlich Olympia 1972 in München war er Beauftragter der EKD für diesen Bereich. Seit diesen Spielen in München war bei allen Sommer- und Winterspielen ein ökumenisches Seelsorgeteam als fester Bestandteil der deutschen Mannschaft dabei. Kirche und Sport können hier also auf eine lange und für beide Seiten fruchtbare Partnerschaft zurückblicken. 

Beim 50jährigen Jubiläum der Olympiaseelsorge im letzten Herbst 2022 in München sagte der Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Stefan Oster: „Bei der Olympiaseelsorge geht es nicht nur um den Sport, es geht um den ganzen Menschen mit all den Erfahrungen von Freude, Leid, Gelingen, Grenzen, Sieg und Niederlage. Die Olympiaseelsorger halten gewissermaßen die Tür zur Seele der Menschen offen und hoffentlich auch zum Himmel – vor allem dort, wo manchmal die Sorge um die Physis allzu dominant wird. Oder auch dort, wo der psychische Druck auf die Athleten immer größer wird.“

Thomas Weber

Thomas Weber ist ev. Pfarrer in der Kirchengemeinde Gevelsberg, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Kirche und Sport der EKD und seit 2003 Seelsorger bei den olympischen Spielen und Universiaden.
 

Kontakt:

Tel: 02332 6908
E-Mail: weber.blanchet@t-online.de

Christian Bode

Christian Bode ist ev.- luth. Pastor und Geschäftsführer der Evangelischen Erwachsenenbildung Osnabrück, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Kirche und Sport und seit 2012 Seelsorger bei den paralympischen Spielen.

Kontakt:

Tel: 05415054112

E-Mail: christian.bode@evlka.de

Über die Autorin Inga Rohoff

Inga Rohoff ist Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Kirche und Sport der EKD Diakonin, Referatsleitung "Diakon*innen" im Landeskirchenamt (LKA) Hannover und Mitglied des Landesarbeitskreises Niedersachsen.

In den Landeskirchen der EKD gibt es Kontaktpersonen für den Arbeitsbereich Kirche und Sport. In vielen Landeskirchen existieren zudem Landesarbeitskreise mit dem Ziel, gemeinde- und/oder vereinsorientierte praxisnahe Anregungen und Hilfestellungen anzubieten, regionale Netzwerke und Bündnisse aufzubauen und zu verstetigen sowie aktuelle Themen zwischen Kirche und Sport zu bearbeiten.

Kontakt zu Inga Rohoff:

Tel: 0511-1241 309
Mobil: 0177-3257460
E-Mail: inga.Rohoff@evlka.de

Foto: Paris 2024

Auch Athlet:innen aus dem Sprengel dabei

Nach der finalen Nominierungsrunde des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) (am 05.07.2024) steht fest, dass 45 Athletinnen und Athleten aus niedersächsischen Förderstrukturen an den Olympischen Sommerspielen teilnehmen werden.

Die finale Nominierung des „Team Deutschland“ für die Paralympischen Spiele erfolgt am 19.07.2024 durch den Deutschen Behindertensportverband (DBS): Hier werden nach aktuellen Informationen 15 - 19 Athletinnen und Athleten das Land Niedersachsen vertreten. Damit haben sich mehr niedersächsische Athletinnen und Athleten für diese olympischen und paralympischen Top-Wettkämpfe qualifiziert als in den vergangenen Jahrzehnten.

Athletin:innen aus dem Sprengel sind:

  • Christoph Wahler (Bad Bevensen / Reiten)
  • Luna Bulmahn (Wolfsburg / Leichtathletik)
  • Deniz Almas (Wolfsburg / Leichtathletik)
  • Alexandra Popp (Wolfsburg / Fußball)
  • Marina Hegering (Wolfsburg / Fußball)
  • Kathrin Hendrich (Wolfsburg / Fußball)
  • Vivien Endemann (Wolfsburg / Fußball)
Diese Niedersachsen treten an